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Freitag, 19. April 2013

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Das letzte Abendmahl...







Messer und Gabel klirren auf Tellern, Gläser stoßen über den Köpfen zusammen. Wildes Gerede in alle Richtungen zwischen zahlreichem Geschirr: Es ist das letzte Abendmahl.
Gemeint ist nicht etwa das weltberühmte Wandgemälde von Leonardo da Vinci – auch wenn den Gesprächen am heutigen Abend eine ähnliche spirituelle und melancholische Energie entnehmbar ist – nein, das ist es nicht. Es ist mehr das letzte Ma(h)l, dass wir mit unseren Freunden Kareem und Haliim an einem Tisch gegessen haben. Die beiden Brüder, die Söhne des Weges, haben beschlossen, zu Fuß die Strecke von Neuss nach Mekka zu beschreiten. An diesem Abend sind wir alle zusammengekommen, um Abschied zu nehmen. Bekannte, Freunde und Familie. Zumindest ist das der Vorwand vor den beiden Brüdern - Inkognito! Insgeheim wollen wir uns vergewissern, dass sie von ihrem Vorhaben auch selbst überzeugt sind; sich gut vorbereitet haben. Vor allem sind wir gekommen, um etwas zu klären, womit die Brüder in den nächsten zwei Jahren noch häufig konfrontiert werden: das "Warum".

Da sitzen wir. Auf drei Tische aufgeteilt: muslimische, christliche und andere Hobby-Philosophen. Hinter unseren Getränken, in Smaltalk getarnt, werden letzte Argumente geschärft und die Fragen angespitzt. Wir lauern auf den Moment. Sobald die Brüder an unsere Tische treten, werden wir sie mit Fragen löchern; ihr Vorhaben als "Mumpitz" entlarven; oder zumindest ihnen ein letztes Mal klar machen wollen, wie waghalsig dieses Unterfangen doch ist...



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Werden wir Erfolg haben - Nein. Aber wer kann sich das schon vorstellen? Zwei Jahre? Das heißt, monatelang im Freien. Was wollen die denn bitte essen und trinken? Beeren und Käfer??? Gefiltertes Rheinwasser??? In Europa gibt es noch Tankstellen, wo sie mal Wasser und Kraft tanken können. Wenn die Jungs mal für "Große Pilger" müssen, finden sie in den Wäldern ausreichend Blätter und Laub. Vielleicht gerät mal eine Brennnessel dazwischen und es brennt, aber in den Gebieten nach dem Mittelmeer? Dort gibt es nur heißen Sand und Kakteen – na gutes Gelingen, Jungs!

"Zum Pilgern gehört das nun aber auch dazu", meint Kareem. Das Schlafen im Freien unter den Sternen. Im Einklang mit der Natur. Morgens noch mal umdrehen und statt dem Lärm des Weckers, gibt es die frische Morgenluft und Vogelgezwitscher. Eine sehr romantische Vorstellung findet ihr? Halllllt´s Mauuuul – höre ich jetzt jemanden aus einer Ecke aufbrüllen ;-) na na na...
Aber was will man da schon entgegen bringen? Es fällt schwer, sich die Reise im Detail vorzustellen – hier im Restaurant. Eine Woche vor dem Startschuss. Die Hälfte von uns würde lieber selber mitgehen, aber uns fehlt der Schneid dazu...

Sie umzustimmen erscheint uns da einfacher! Ein kleiner Funke von Zweifel würde ausreichen: Ein vernichtender Brand der Verunsicherung würde entfacht, das sich binnen Sekunden ausbreitet, das ganze Vorhaben in seine Einzelteile zerlegt und niederbrennt, bis in der Hitze Nichts mehr davon übrig bleibt!!! Inzwischen haben wir uns jededoch jede Energie dazu weggefressen. Nach drei Grilltellern Lamm-, Haifisch- und Hühnerfleisch, gebratenen Nudeln, Asia-Suppen, riesigen Desserts aus Früchten, blauem Eis und Schokobannanen – ihr hättet dabei sein müssen! – sitzen wir mit dicken Bäuchen nur noch auf unseren Stühlen, lauschen gespannt Kareems Erwartungen an seine Reise, denn er sieht bereits alles ganz klar vor sich und lässt uns am imaginären Lagerfeuer mitträumen: Lichtstrahlen brechen durch die Eichenblätter im Wald. Eichhörnchen sitzen im Laub. Leise knistert die Glut. Der Nebel löst sich auf über dem feuchten Grün und die weiten Berge sind klar zu sehen – das tiefe Einatmen kommt bei uns wie von selbst. 

Da Kareem und Haliim in den nächsten Tagen nur ein sehr enges Zeitfenster haben werden, wie sie sagen, versuchen sie mit uns allen auf ein letztes Ma(h)l an einem Tisch zu sitzen. Zuversichtlich gestimmt, dass wir uns alle nach diesem Abenteuer in zwei Jahren wiedersehen. Ein Gruppenfoto soll uns an diesen schönen Abschied erinnern. So sein, wie auf diesem Foto, wenn Kareem und Haliim in zwei Jahren zurückkehren, wird keiner..


..Und dann verstanden wir. Das "Warum"! JETZT sind sie körperlich dazu im Stande. JETZT machen sie Veränderungen durch und finden sich. JETZT ist die Zeit dafür, die sie sich nehmen wollen. Nicht morgen, nicht irgendwann. Heute! Und wir: Bekannten, Freunde und Familie; Natürlich sind wir gekommen, um sie mit Fragen zu löchern. Denn wir wollen uns davon überzeugen, dass sie ausreichend vorbereitet sind. Was anderes hätten sie von uns nicht erwartet, denn sie werden diesen Weg beschreiten – das steht fest.
Mindestens einer Person ist dies sogar bewusster als uns allen zusammen: Der Mutter von Kareem und Haliim. Als wir sie fragen wie es ihr geht, antwortet sie mit einem lächelnden und einem weinenden Auge: „Wie soll es mir schon gehen. Nicht so gut.“ - „Ja.“, antworten wir ihr verständnisvoll. In Wirklichkeit können wir es nicht verstehen, nicht wie eine Mutter: Geburt, Kindheit, Erziehung, Pubertät, Ausbildung und Arbeit. Die Entscheidung der Söhne zu akzeptieren und sie beide endgültig ziehen zu lassen – dass war es, was auch wir an diesem Abend verstanden haben. An diesem Abend musste nicht nur Frau Hochhausen ihre Söhne ziehen lassen – sondern wir alle.

Es ist das letzte Abendmahl. Nicht etwa das berühmteste Wandgemälde von Leonardo da Vinci – Es ist unser Abendmahl, mit den Söhnen des Weges.

Bleibt ihnen auf den Fersen!

Euer Bruder Cenk vom Sohn des Weges Team.

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